Texte

 

Der Sarg

Was ist bloß in diesem Sarg? 
Für einen Menschen ist er doch viel zu klein:
Für all die Jahre, für ein ganzes Leben 
kann er niemals groß genug sein.

Ich sehe ihn an, und sie rauschen in mir:
Erinnerungen wie ein Wasserfall
an Musik und an Streit und an offene Fragen -
und ich dachte, von all dem sei ich befreit!

Ich sehe ihn an, und ich denk' noch einmal
an vieles, was ich weiß und öfter noch
an viel mehr, was ich nicht, was ich niemals verstehe
und was ich vielleicht auch nicht verstehen muss.

      Hoffnungen, Gedanken, Versagen, Triumph, 
      Fragen, Freuden, Träume, Traurigkeit, 
      fernere und weite und nahe Vergangenheit, 
      wo ist das Leben? 
      Wo ist das Leben?

Ich sehe ihn an, denn jetzt schließt sich das Buch 
über allem, was darin zu lesen war. 
Doch nicht jede Geschichte wurde schon beendet, 
und erst recht nicht jede hat ein Happy-End.

Ich sehe ihn an, fühle überdeutlich:
Es wird kälter, Abendnebel ziehen auf.
Das Jahr ist zu Ende, und schon folgt das nächste,
und es wird nicht alle Zeiten Winter sein.

Was ist bloß in diesem Sarg? 
Für einen Menschen ist er doch viel zu klein:
Für all die Jahre, für ein ganzes Leben 
kann er niemals groß genug sein.
 
Zuletzt geändert:
2005 - 02 - 13